23.10.2003, F.A.Z., Briefe an die Herausgeber (Politik), Seite 11 Entfremdungssyndrom Zum Artikel "Den ,neuen Vätern' kann man es nicht recht machen" von Kerima Kostka (F.A.Z. vom 18. September): Von 1994 bis 1996 konzipierte und implementierte ich federführend das betreute Besuchsrecht als Vorsitzende eines Kinderschutzbund-Ortsverbandes in Baden-Württemberg, also noch vor den Änderungen des Kindschaftsrechtes. Bei uns landeten die sogenannten "hochstrittigen Fälle" bei Trennung und Scheidung. In den Vorgesprächen mit den Eltern beteuerten und begründeten meist die Mütter sehr glaubhaft und nachvollziehbar, daß die Kinder den Vater nicht sehen wollten. Bei den Umgangskontakten zwischen Vater und Kind stellte sich die Sachlage dann anders dar, nach anfänglichen Startschwierigkeiten (verständlich nach zum Beispiel sechs Jahren ohne Kontakt) konnten diese Kinder meist problemlos mit den Vätern spielen. An einen Fall aus dem Jahre 1996 kann ich mich besonders gut erinnern, er blieb unvergessen. Dieses Mädchen lehnte den Vater dermaßen massiv ab, daß wir vor diesem Haß fast kapitulierten. Sie war Sprachrohr ihrer Mutter geworden mit Sätzen wie "Du warst noch nicht mal bei meiner Geburt anwesend" und dergleichen mehr. Es spielten sich fürchterliche Szenen ab. Ich erinnere mich deshalb so gut an diesen Fall, weil ich persönlich nun auch betroffen bin. Meine Kinder wurden mir entfremdet durch massive Einflußnahme. "PAS (Parental Alienation Syndrome) ist eine Beschreibung dessen, was wir hier vorliegen haben", räumte ein Sachverständiger im Gerichtsverfahren ein, einen Zustand, den er vor einem Jahr bei der ersten Exploration nicht erkannte. Zu spät. Sämtliche Kontakte zu mir sind unterbunden, selbst meine Eltern erhalten keine Kontakte mehr zu meinen Kindern. Ich sah meine Kinder nach einem dreiviertel Jahr wieder - vor dem Gerichtssaal. Der Haß, die Feindseligkeit, die Eiseskälte, die mir entgegenschlugen, raubten mir fast den Verstand. Wie will man diese Kinder wenigstens zu einem Umgang bewegen? Gerichtliche Sanktionen, wie Zwangsvollstreckung oder Vermittlung, müssen entfremdende Elternteile (ob bewußt oder unbewußt) kaum befürchten. Vom Bundesjustizministerium wünsche ich mir Gesetze, die Umgangsrechte auch durchsetzbar machen, oder daß zum Beispiel Mediation jedem Scheidungsverfahren vorgeschaltet wird. Wohlgemerkt, ich spreche nicht von den üblichen schweren Loyalitätskonflikten der Kinder, dieses Entfremdungssyndrom umfaßt mehr. Wenn die Verfasserin des Artikels meint, PAS sei kein anerkanntes psychiatrisches Syndrom auf Grund fehlender Empirie, sei darauf hingewiesen, daß PAS nicht lange bekannt ist. Noch fehlende Empirie bedeutet jedoch nicht, daß das Phänomen nicht existiert. Ich bin davon überzeugt, daß es lediglich eine Frage der Zeit ist, daß PAS in den international anerkannten Klassifikationssystemen Zugang findet. Auch beim Europäischen Menschengerichtshof in Straßburg findet PAS zunehmende Beachtung. Dem wird sich Deutschland nicht entziehen können. Schaut man sich die einschlägigen Veröffentlichungen von PAS-Kritikern an, fällt auf, daß es sich immer um den gleichen Kreis und die gleichen Interessengruppen handelt. Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht würde man sagen, die (wenigen) Meinungsführer erscheinen stark, da sie viel publizieren. Die schweigende Mehrheit erscheint schwach. Das verzerrt jedoch die Wirklichkeit. Wenn die Autorin meint, die Allianzen Kinder/betreuender Elternteil würden sich irgendwann einmal auflösen, so mag das bei üblichen Loyalitätskonflikten stimmen. Jedoch kaum bei PAS. Auch das ergeben Studien. Und das Argument, PAS würde als Waffe der Väter gegen die Mütter eingesetzt, zieht nicht mehr. Es ist kaum bekannt: Auch Mütter sind von Entfremdung und Ausgrenzung betroffen, prozentual gesehen zwar wenig, aber es werden immer mehr. Sie haben allerdings im Gegensatz zu entfremdeten Vätern zusätzlich mit extremer gesellschaftlicher Ächtung zu kämpfen: Was hat diese Mutter den Kindern angetan, daß ihre eigenen Kinder nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen? Diese unsäglichen Polarisierungen bringen die Diskussion um Elternentfremdung also bestimmt nicht weiter. Kontaktabbrüche zu einem Elternteil haben unbestritten psychische Schäden zur Folge. Und da ist es völlig egal, wie lange diese Kontaktabbrüche dauern. Denn Kinder brauchen nun mal beide: Vater und Mutter. 14.10.2003, F.A.Z., Briefe an die Herausgeber (Politik), Seite 10 Deutsche Sorgerechtsbestimmungen Die Äußerungen von Kerima Kostka "Den ,neuen Vätern' kann man es nicht recht machen" (F.A.Z. vom 24. September) sind zumindest ebenso einseitig wie diejenigen im vorausgegangenen Artikel von Bernd Fritz, darüberhinaus aber ideologisch befrachtet. Verschiedene elementare Anhaltspunkte und Fakten aus dem "wirklichen Leben" werden willkürlich ausgeblendet. Vor dem Hintergrund, daß Kinder ein naturgegebenes, eigentlich nicht zur Disposition stehendes Recht auf eine von beiden Eltern verantwortete Erziehung und Betreuung haben, erscheinen mir die oft machtpolitisch motivierten Auseinandersetzungen zwischen Müttern und Vätern ziemlich würdelos. Immer mehr Mütter äußern heute tatsächlich ganz unverblümt ihre Auffassung, daß sie ihre Kinder als eine Art Besitz betrachten, über den sie selbstverständlich allein verfügen können; selbst die menschenverachtende Position, die Zuständigkeit von Vätern beschränke sich auf Zeugung und finanzielle Unterhaltsleistungen, findet im Umfeld einer zunehmend skrupellosen Selbstbedienungsmentalität Anhängerinnen. Natürlich ist es nicht besser, wenn Väter sich ihren Pflichten entziehen. Insgesamt wird meines Erachtens viel zu selten beachtet, wie schädlich es naturgemäß für Kinder ist, völlig den Entscheidungen einer Einzelperson ausgeliefert zu sein, die die gravierende Verantwortung der Elternschaft wohl nur selten angemessen ausfüllen kann - egal, ob Mutter oder Vater. Das eigentlich Unerträgliche an der aktuellen Rechtslage ist, daß sie vom desinteressierten, verweigernden, säumigen Vater als Normalfall ausgeht. Damit können Frauen auch den vielen nicht verheirateten Vätern, die in der Familie lebend engagiert an der Erziehung mitwirken (und denjenigen getrennt lebenden, die es gern tun würden), willkürlich das gemeinsame Sorgerecht verweigern. Kinder getrennt lebender Eltern antworten auf die Frage nach ihrem größten Wunsch häufig spontan, der Vater solle wieder in die Familie zurückkehren - und das trotz der Probleme, die sie vor der Trennung miterlebt haben. Die juristische Fiktion, ein gemeinsames Sorgerecht bei vorhandenen erheblichen Konflikten zwischen den Eltern sei zwangsläufig die für die Kinder schädlichere Variante, ist daher höchst problematisch. Nicht ohne Grund werden die deutschen Sorgerechtsbestimmungen im Ausland mit Unverständnis registriert. ------